07.01.2013, Basellandschaftliche Zeitung
Protest und Utopie Von Alfred Ziltener
Mit spürbarer Spannung erwartet das altersmässig erfreulich gemischte Publikum im nahezu vollbesetzten Musiksaal des Basler Stadtcasinos auf den Beginn von Ludwig van Beethovens Neunter Sinfonie, mit der das Barockorchester Capriccio zusammen mit dem Basler Bach-Chor und dem Gemischten Chor Zürich das neue Konzertjahr begann. Dirigent war Joachim Krause, der beide Chöre seit vielen Jahren leitet.
Beethovens Musik hat offenbar nichts von ihrer Faszination verloren, obwohl sie – und besonders der Schlusschor «Freude schöner Götterfunke» – im Lauf der Zeiten zur Selbstfeier ganz unterschiedlicher politischer Mächte herhalten musste, als weihevolle Überhöhung von Hitlers Geburtstag ebenso wie beim letzten Staatsakt der DDR; als inoffizielle Hymne der (West-)Deutschen Bundesrepublik und als EU-Hymne.
Revolte in der Partitur
Mit diesem Missverständnis haben Krause und das Orchester radikal aufgeräumt. Ihr Beethoven war weder weihevoll noch staatstragend, dafür machten sie hörbar, wie viel Aufbegehren, wie viel Revolte in seiner Partitur steckt. Dazu trug der aufgeraute, oft harsche Klang vor allem der barocken Blechinstrumente ebenso bei wie die Wahl straffer Tempi, die Betonung klanglicher und dynamischer Kontraste und die knappe Artikulation.
Die inneren Spannungen des Kopfsatzes führte Krause zu dramatischen Fortissimo-Ausbrüchen, denen die heftig dreinfahrende Pauke geradezu apokalyptischen Charakter gab. Im Scherzo liess er derbe Lustigkeit sich austoben, und auch das rasch fliessende Adagio bot keinen Ruhepunkt. Das Orchester musizierte transparent und mit grosser Präzision. Im Andante konzertierten die Holzbläser mit weich phrasierten Linien; die tiefen Streicher gestalteten ihre Einwürfe im Schlusssatz mit sprechendem Ausdruck, warm und sonor.
Gut harmonierende Solisten
Mit markantem Bass und hervorragender Diktion leitete Marian Krejcik die anschliessende Ode an die Freude ein. Der schön timbrierte, aber ungewohnt lyrisch besetzte Tenor Rolf Romei, der in seinem Solo denn auch an seine Grenzen stiess, die Mezzosopranistin Christina Daletska und die kurzfristige eingesprungene Sabina Martin, Sopran, bildeten mit ihm zusammen ein gut harmonierendes Solistenquartett.
Machtvoll verkündete der Chor Beethovens Protest gegen Diskriminierung («was die Mode streng geteilt») und seine Utopie einer brüderlichen Menschheit. Krause war es gelungen, die rund 200 Choristen von Rhein und Limmat zu einem homogenen Ganzen zusammenzuschweissen. Sie sangen präzis und engagiert, mit prächtigem, auch in den extremen Sopranhöhen sauberem Klang.